Berba, wo die Liebe wohnt

Seit der Revolution des 25. Jänner 2011 gibt es in Ägypten große Sicherheitslücken und das Rechtssystem steht vor unlösbaren Problemen. Die Kriminalität hat ein Ausmass angenommen, das zu einem Fass ohne Boden wurde. Wohin soll die Menschen gehen wenn getötet wird ohne sichtbaren Grund? Wenn Entführungen von wohlhabenden Leuten und besonders Christen an der Tagesordnung stehen und diese nie aufgeklärt werden? Vor einem Jahr wurde im Nachbardorf ein junger Mann entführt, der bis heute nicht aufgetaucht ist. Warum? Weil das Geld nicht rechtzeitig bezahlt wurde? Nein, weil die Familie und Nachbarn, die Zeugen der Entführung waren, die Polizei eingeschaltet haben! Und so ist die Beute die kein Geld gebracht hat, wohl irgendwo in der Wüste „entsorgt“ worden.

Jetzt ist ein Vater aus unserem Dorf El Berba entführt worden. Mit seinem Moped war er auf einer zwischen den Dörfern unterwegs, als er mit roher Gewalt von ein Gruppe von Männern in einen Toyota gezerrt wurde! Osamer ist Vater von 3 Kindern im Alter von 14 bis 8 Jahren. Der Vater des Opfers ist eine angesehene Persönlichkeit im Dorf und spielt eine wichtige Rolle in unserer Koptisch-Katholischen Pfarre.

So etwas nimmt einen schon mit! Es sind gerade mal 24 Stunden vergangen und die Familie versucht das Lösegeld zu bezahlen bevor es zu spät ist!

Heute vormittag am 18. September 2013 bin ich mit Markus Bickel von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, Dr. Martin Gehlen vom „Tagespiegel“ und der Photographin Katharina durchs Dorf spaziert. Da wußte ich noch nichts von der Entführung vom vergangenen Abend und habe erzählt, wie anders unser Dorf ist.

abuna_isaak_besuch_bei_der_adraAls wir vor der Kirche standen, haben uns die Leute erzählt warum in diesem Dorf die Kirche nicht angezündet worden ist. Als Antwort auf Journalistenfragen hörten wir von den Dorfbewohnern: „Weil die Liebe unter uns wohnt!“. Diese Liebe hat Abuna Isaak der langjährige Dorfpfarrer eingepflanzt. Es war ein verdienstvolles Leben von 50 Jahren im Dorf El Berba! Und Abuna Isaak ist am Tag seines 50 jährigen Priesterjubiläum am 6.Juni 2000 gestorben. Nichts ahnend von der Entführung haben wir darüber gesprochen, was für einen Satz  Abuna Isaak sich für diese Jubiläumsfeier ausgewählt hatte. Es waren die Worte des Greisen Simeon (Lk 2,29) „Nun lässt du, Herr, deinen Knecht, wie du gesagt hast, in Frieden scheiden. Denn meine Augen haben das Heil gesehen, das du vor allen Völkern bereitet hast, ein Licht, das die Heiden erleuchtet, und Herrlichkeit für dein Volk Israel“. Dieser Satz der Freude über viele Jahre von gelebter Liebe und Dialog wurde dann sein Totenvermächtnis.

Als Ordensschwester der Kongregation „Notre Dame de Sion“ ist es mir ein selbstverständliches Anliegen, dass Dialog das Motto unseres Dienstes im Dorf ist. „Dialog durch Entwicklungshilfe“ steht auf unserm Logo. Dieser Dialog ist von großer Bedeutung in allem was sich im Dorf entwickelt. Im Aufwachsen der Jugend bis sie erwachsen werden, im gemeinsamen Lernen, im Austausch miteinander und durch die Entwicklung verschiedenster Infrastruktur Projekte in unserem Dorf. Überall wo wir Raum geben, dass die Liebe unter uns wohnen kann, wird das Vermächtnis das uns Pfarrer Isaak uns hinterlassen hat gelebt.

Zum Glück wurde 48 Stunden später das Lösegeld von der Familie bezahlt und der junge Mann kehrte gesund zu seiner Familie zurück.

Sr. Juliana NDS