Gedanken

Die Kraft des Gebetes

In dem Seminar, das wir besuchten, ging es um die Bedeutung und Wichtigkeit des Gebets für die drei Abrahamitischen Religionen: Judentum, Christentum und Islam. An den fünf aufeinander folgenden Tagen versuchten wir, zu verstehen und gemeinsam zu überlegen, was Gebet ist, warum wir beten, wie wir beten, und über die Bedeutung Jerusalems für unser Gebetsleben nachzudenken.

interfaith_summer_school_5Was ist das Gebet?
In der jüdischen Tradition: Das Gebet ist eine Einladung an Gott, auf sehr persönliche Weise täglich in unser Leben einzugreifen (Rabbi Abraham J. Heschel). Für Juden ist Gebet etwas Gemeinsames; es ist verbunden mit dem Lob Gottes, mit Segnungen, mit Bitten und mit der Dankbarkeit, für das was Gott getan hat und in der Geschichte noch weiterhin tun wird. In der jüdischen Tradition ist das Gebet auch eine Form des Studierens: wenn man die Torah mit einem Partner studiert, dann eröffnet sich eine Möglichkeit, Gott zu hören. Gebet ist Dialog, ein Treffen mit dem Selbst, mit dem Göttlichen und mit anderen.

Dormitio AbteiIn christlicher Tradition: Beten heißt: das eigene Sein auf das transzendente   hin, auf den geheimnisvoll Anderen hin zu heben (Johannes von Damaskus). Es ist ein Gespräch zwischen Gott und dem Menschen. Gebet ist wie nackt ins Schwimmbecken zu springen und der ewigen Quelle zu erlauben, dass sie mich vom Grunde des Beckens zur Oberfläche trägt. Gebet heißt einfach: zu schweben, sich zu verlieren und sich bei Gott wieder zu finden.

 

Vortrag Gebet

Vortrag Gebet

In Islamischer Tradition: Für Muslime heißt Beten: sich selbst zu finden, sich selbst zu erkennen, Gott zu kennen und den andern zu kennen. Gebet ist sowohl ein Gespräch als auch ein Treffen zwischen Gott und Menschen. Gebet ist wie eine Glocke, die tagsüber läutet und sie an ihre Gebetspflicht erinnert. Muslime glauben, dass durch Gebet ihre Herzen zur Ruhe kommen und ihre Unvollkommenheit gebessert wird (Scheich Ghassan Manasra).

 

 

 

Warum und Wie beten wir?
Für den Islam:
Das Gebet ermöglicht den Muslimen, mit Gott, dem Selbst, mit andern und mit der Welt in Kontakt zu kommen. Das Gebet hindert die Muslime, Böses zu tun, und es reinigt den Geist und das Herz. Muslime sind verpflichtet, fünf mal am Tag zu beten. Gebet ist die zweite Säule des Islam und die erste Pflicht jedes Muslims, deswegen beginnen sie ihren Tag mit dem Gebet  und beenden ihn gemeinsam mit dem Gebet.

Für die jüdische Tradition: Das Gebet ist ein göttliches Gebot, das die Weisen  für die Gemeinschaft eingerichtet haben. Den Juden ermöglicht das Gebet, in Gottes Gegenwart zu sein und sich in dieser Gegenwart verwandeln zu lassen. Es ist die innerste Struktur ihres Seins, die es ihnen gestattet, ihre Herzen und ihre Gedanken auf Gott hin zu wenden. Die Juden haben feste Gebete, die gemeinschaftlich in der Synagoge verrichtet werden. Im Zentrum von jüdischer Liturgie und jüdischem Gebet steht die Amida. Es wird im Stehen gebetet und besteht aus 18 Segenssprüchen. In den ersten drei wird Gott gelobt, die folgenden 13 Segnungen sind Bitten der Gemeinde; die übrigen sind allgemeine Gebete, für jeden Juden verpflichtend.

For die christliche Tradition: Für Christen ist das Gebet nicht verpflichtend, aber wie wir aus der Schrift wissen, hat Jesus seine Jünger an die Bedeutung und den Wert des Gebetes erinnert. Für Christen bedeutet Beten, zu sich selbst, zu Gott, zum anderen und zur Welt in Gemeinschaft zu gelangen. Das Gebet hilft uns, aus unserer Selbst-Zentriertheit herauszukommen, und sowohl den andern als auch die Gegenwart Gottes zu erkennen. Christen beten oft spontan, aber es werden in der Kirche auch offizielle Gebete verwendet, besonders während der Messe.

Jerusalem ist für Muslime, Christen und Juden ein sehr bedeutsamer Ort. Es ist eine heilige Stadt, die sowohl zu einem Ort der Spannungen, als auch zu einem Ort der Begegnungsmöglichkeiten für die drei Traditionen wurde. Das Ziel des Seminars über die Kraft des Gebetes ist der Gedanke,  dass die Gräben, die Christen, Juden und Muslims voneinander trennen,  überbrückt werden, wenn wir in Jerusalem in einer offenen Gebetshaltung zusammenkommen. In Jerusalem und für den Frieden in Jerusalem zu beten, ist eine gemeinsame Basis für die drei Traditionen. In Fortführung desselben Gedankens kann es eine Quelle des Zusammenfindens sein, die Anwesenheit der anderen Religionen besser bewusst machen. Und schließlich zielt es auf Hoffnung. Die Hoffnung, dass gemeinsames Beten in Jerusalem Frieden und Harmonie erzeugen wird.

Geschrieben bei Novizin Arlyne