Egger: Alphons Ratisbonne 3

Während Bruder Theodor Ratisbonne von Paris aus sich um die weitere Ausbreitung der jungen Kongregation der Sions-Schwestern bemühte, blieb Alfons Maria nach verschiedenen Betteltouren durch Frankreich, Belgien und Deutschland für immer im Heiligen Land, konkreter in Jerusalem. Er bemühte sich, für seine junge Kongregation Häuser zu errichten.

Die Gründung neuer Häuser war damals im Heiligen Land ein sehr schwieriges Unternehmen. Die christlichen Heiligtümer lagen damals fast alle in Trümmer. Die Strassen Jerusalems waren weithin verödet und verlassen. Das Heilige Land war unter der türkischen Herrschaft total verarmt. Die Bevölkerung, teils zum Judentum gehörend, teils zum Islam, war meist bettelarm und ungebildet. Die Beziehungen zu den zivilen Autoritäten zeigten sich als äusserst diffizil und komplex. Praktisch mussten alle Erlaubnisse in Konstantinopel bei der Hohen Pforte des Sultans eingeholt werden.

An kirchlichen Einrichtungen gab es damals nur ein paar Häuser und Klöster der Franziskaner, die meist mit biblischen Heiligtümern gekoppelt waren. Der Franziskanerorden war nämlich der einzige, der im Nahen Osten überhaupt wirken konnte. Im 19. Jahrhundert kamen allmählich auch andere Ordensgemeinschaften hinzu, vor allem Frauengemeinschaften. Der erste Frauenorden im Heiligen Land waren die Schwestern von hl. Josef.

Mit Hilfe des lateinischen Patriarchen Giuseppe Valerga (1813-1872) gelang es Alphons von Ratisbonne, in einem gemieteten kleinen Haus eine erste Niederlassung der Sions-Schwestern im Heiligen Land zu errichten. Am Anfang beherbergte die Gründung von Ratisbonne 8 Schwestern und 15 Waisenmädchen. Das ärmlich gemietete Haus konnte nicht mehr aufnehmen. Es war auch ungesund. Bereits zwei Personen mussten deswegen ihren Blutzoll lassen, eine Schwester und eine Postulantin starben an Fieber. Aus diesem Grund musste sich der Ordensgründer nach einem anderen und besseren Ort umsehen. Die Wege der göttlichen Vorsehung sind wahrlich sehr geheimnisvoll: Alphons von Ratisbonne konnte bei der einstigen Burg Antonia, am Beginn des Kreuzweges beim sog. Ecce-Homo-Bogen, ein Grundstück erwerben.

Genau an dem Ort, wo die Juden einst geschrien hatten:

„Sein Blut komme über uns und unsere Kinder“ (Mt 27, 25b) gelang es dem konvertierten Juden, seine erste Niederlassung zu gründen. Er selbst bemerkt dazu: „Ja, der Ort, der für das Werk bestimmend war, das in Jerusalem zu gründen ich mich berufen gefühlt hatte. Ich kniete an dieser Stätte nieder und gelobte dem mit Dornen gekrönten Heiland, keine Ruhe mehr kennen zu wollen, bis das Werk vollendet sei.“

Er kehrte nach Europa zurück, um die grosse Kaufsumme, die immer wieder von drei arabischen Brüdern, denen dieser Grund gehörte, hinauf gesteigert worden war, zu erwerben. Dazu schreibt er:

„In diesem Jahre (1856) machte ich die ersten Schritte und die ersten Reisen, um den Erwerb der Ruinen des Ecce-Homo zu erstehen. Siebzehn Monate lang sammelte ich im nördlichen Frankreich und in ganz Belgien. Ungefähr 20.000 Franken (französische Franken, Anmerkung des Autors) war das Ergebnis. Zuerst sollte der Ecce-Homo 17.000, dann 30.000, dann 60.000 Franken kosten, bis er zuletzt mit dem Bakschisch (Trinkgeld im Orient) auf 70.000 Franken zu stehen kam. Dazu muss noch der Erwerb anderer anschliessender und durchaus notwendiger Grundstücke gerechnet werden, zur Vergrösserung des Klosters 7.000 Franken, für das Waisenhaus 25.000 Franken, zur Vergrösserung des Sanktuariums 20.000 Fr. und dann nochmals 17.000 Fr., also im Ganzen 139.000 Franken. Ich würde wohl Bände füllen, hätte ich die Reisen, die Korrespondenzen, die Gefahren, die Widersprüche, die Strapazen, die Demütigungen und die Arbeiten zu schildern, welche diese ersten Jahre ausfüllten.“

Er bettelte vorerst während 17 Monaten in Frankreich und Belgien 70.000 französische Francs. Er bettelte von Tür zu Tür, er, der einst ein so reicher und angesehener Kaufmann in Strassburg war. Dazu kam noch, dass er von seinem Onkel Louis von Ratisbonne (+1855) nicht als Erbe des grossen Vermögens eingesetzt wurde, wie das ursprünglich geplant war.

Am 20. Januar 1862, genau 20 Jahre nach dem Gnadenereignis in Sant’Andrea dell’Fratte in Rom, konnte Alphons den Sions-Schwestern ein Kloster und ihren Waisenkindern ein Waisenhaus beim Ecce-Homo-Bogen zur Verfügung stellen.

1866/67 machte sich der seeleneifrige Priester nochmals auf Betteltour. Diesmal ging es nach Deutschland, um Gelder für die Ecce-Homo-Kirche neben dem Kloster zu sammeln. Die genannte Kirche wurde am 3. April 1868 von Weihbischof Bracco (1835-1889) geweiht. Weihbischof Bracco wurde in späteren Jahren Patriarch von Jerusalem.

(4. und letzter Teil in der nächsten Nummer)

P. Gottfried Egger OFM schreibt einen interessanten Bericht über das Leben von Fr. Mary – Alphonse Ratisbonne. Dieser besteht aus vier Teilen und ist zu finden in der Zeitschrift „Im Land des Herrn“ – „Franziskanische Zeitschrift für das Heilige Land“ 69. Jahrgang 2015 Heft 4 und 70. Jahrgang 2016 Heft 1, 2 und 3.
Freundlicherweise hat P. Raynald Wagner der Chefredakteur uns die Texte zur Verfügung gestellt. Selbstverständlich bleiben alle Rechte beim „Kommissariat des Hl. Landes, München“.